KOGNITIVE

VERHALTENSTHERAPIE

Die Verhaltenstherapie ist eines der Richtlinienverfahren in Deutschland und wird somit von den Krankenkassen (gesetzlich wie privat) in vollem Umfang abgerechnet. Auch wenn es unter der Überschrift „Verhaltenstherapie“ eine Fülle von Verfahren mit zum Teil unterschiedlicher Schwerpunktsetzung gibt, lassen sich doch einige allgemeine Merkmale herausarbeiten, die generell gelten. Ich will diese im Folgenden in aller Kürze charakterisieren, damit Sie eine Idee davon bekommen, was Sie in einer Verhaltenstherapie erwartet.

Ausgangspunkt einer jeglichen Behandlung ist stets eine Vorstellung davon, worin die Ursache für ein psychisches Problem liegt. In der Verhaltenstherapie sind in diesem Sinne individuelle Störungsmodelle von besonderer Bedeutung: zu Beginn der Behandlung klären Therapeut und Patient gemeinsam, welche Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der jeweiligen Störung relevant sind. Das heisst, es werden alle Faktoren berücksichtigt, die bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Störung eine wesentliche Rolle spielen können. In der Regel kann man die so entstehenden Störungsmodelle als bio-psycho-sozial bezeichnen; das bedeutet, dass in den meisten Fällen sowohl biologische als auch psychologische als auch soziale Faktoren am Zustandekommen einer Störung beteiligt sind. Ein Beispiel dazu ist die Depression: sehr häufig gibt es bei einer Depression biologische Faktoren (z. B. Vererbung; wenn beide Eltern depressiv sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein Kind ebenfalls eine Depression bekommt, als wenn keines der Elternteile depressiv ist), die unter Umständen eine medikamentöse (Mit)Behandlung nötig machen; daneben gibt es eine Reihe psychologischer Faktoren, die von Bedeutung sind, z. B. verzerrtes Denken im Sinne einer Fokussierung auf Negativität; und schließlich finden sich soziale Faktoren wie z. B. eine Vereinsamung. Auf die letzteren beiden Bereiche konzentriert sich die Psychotherapie, während die medikamentöse Behandlung stets in die Hand eines erfahrenen Facharztes gehört.

Verhaltenstherapie ist in erster Linie alltags- und gegenwartsbezogen: es interessiert insbesondere, wodurch eine Störung aktuell aufrecht erhalten wird, denn die Verhaltenstherapie findet im Hier und Jetzt statt, nicht in der Vergangenheit. Sind es insbesondere aktuelle problemaufrechterhaltende Faktoren, die für die Störung verantwortlich sind, so konzentriert sich der Verhaltenstherapeut darauf. Ein Beispiel hierfür kann eine einfache Phobie sein. Wenn Sie z. B. eine Spinnenphobie haben, dann ist es wenig relevant, wann und wie diese entstanden ist. Manchmal findet sich bei Phobikern eine Auslösesituation (z. B. ein unerfreuliches Erlebnis in der Kindheit, in unserem Beispiel vielleicht ein morgendliches Aufwachen und als erstes an der Zimmerdecke eine große Spinne erblicken, sich erschrecken, die Mutter zur Hilfe rufen, doch diese reagiert noch panischer und verlässt gleich wieder schreiend das Zimmer…), häufig jedoch auch nicht, und in keinem Falle hilft die Betrachtung der ursprünglich auslösenden Situation entscheidend bei der Bewältigung des gegenwärtigen Problems weiter. Diese Bewältigung kann nur gelingen, wenn das Augenmerk auf die aufrechterhaltenden Bedingungen des Problems gerichtet wird. Im Falle unseres Beispiels ist das das Vermeidungsverhalten: Spinnenphobiker vermeiden die Konfrontation mit Spinnen, wann immer sie nur können, und wenn doch eine „Begegnung“ stattfindet, so fliehen sie so schnell als möglich aus der Situation. Dadurch prellen sie sich selbst um die Erfahrung, dass Spinnen nicht gefährlich sind und ihnen nichts passieren kann. Diese Erfahrung wäre jedoch nötig, um die Phobie selbst zu beseitigen. Wohlgemerkt: das „Wissen“ alleine reicht nicht aus; die allermeisten Phobiker wissen, dass Spinnen nicht gefährlich sind. Die korrigierende Erfahrung muss wirklich durchlebt werden, um auf einer tieferen Ebene als rein kognitivem Wissen wirksam sein zu können. Dazu ist eine Konfrontationstherapie unabdingbar.

Wenn Sie englisch können, dann finden Sie hier ein YouTube-Video, das das hier Beschriebene anhand einer Federphobie illustriert.

Verhaltenstherapie konzentriert sich also auf das Herausfinden der aktuellen aufrechterhaltenden Bedingungen der psychischen Störung. Es geht somit darum, dysfunktionales Verhalten herauszufinden und konkret zu verändern. Das Verhalten ist deshalb dysfunktional, weil es die eigentliche Störung aufrecht erhält (wie im Beispiel durch das Vermeidungsverhalten die Phobie aufrecht erhalten wird).

Gleichzeitig ist es aber nicht nur dysfunktional, weil das Verhalten sehr wohl einem Sinn und Zweck dient: es erleichtert dem Betroffenen kurzfristig das Leben (so führt das Vermeidungsverhalten im Beispiel sofort dazu, dass es dem Phobiker wieder besser geht: mit dem Verschwinden der Spinne geht sofortige Entlastung einher). Letztlich liegt hierin sozusagen des Pudels Kern der Verhaltenstherapie: psychische Störungen gehen zumindest zum Teil auf Verhalten zurück, das zwar kurzfristig Sinn macht, das aber langfristig Probleme erzeugt und die Störung stabilisiert. Dieser Gedanke soll hier gleich anhand einiger weiterer Störungen illustriert werden:

  • Bei einem Waschzwang ist das Händewaschen kurzfristig beruhigend und beseitigt die Angst; langfristig stabilisiert es die irrationale Befürchtung, sich kontaminieren zu können und schlimme Nachteile zu erleiden
  • Bei einer Depression ist es kurzfristig entlastend, soziale Kontakte zu vermeiden, weil man sich dann nicht anstrengen muss; langfristig vereinsamt man so nur immer mehr, was wiederum immer depressiver macht
  • Bei einer Hypochondrie, also der immer wiederkehrenden Überzeugung, eine schlimme Krankheit zu haben, entlastet und beruhigt es kurzfristig, zum Arzt zu gehen und sich untersuchen zu lassen; langfristig jedoch bleibt die Angst vor dem Erkrankenkönnen bestehen, es sind unausgesetzt weitere Arztbesuche nötig, und eine echte und dauerhafte  Beruhigung setzt nicht ein, stattdessen wechseln die Krankheitsängste nur den Gegenstand (vom Hirntumor zum Herzinfarkt zur multiplen Sklerose zum Magendurchbruch zum…).

In allen genannten Fällen liegt ein wesentlicher Ansatz der Therapie in der Veränderung des störungsaufrechterhaltenden Verhaltens, weil darüber dann korrigierende Erfahrungen gemacht werden können, die wiederum die Störung zurückgehen lassen.

Das reicht aber nicht immer aus. Es kann sehr wohl notwendig sein, nicht nur die aktuellen aufrechterhaltenden Bedingungen zu betrachten, sondern auslösende Ursachen, zum Beispiel biographische Erlebnisse, ernst zu nehmen und mit ihnen zu arbeiten. Dies wird ein guter Verhaltenstherapeut auf jeden Fall tun, wenn es erforderlich ist. Nehmen wir zum Beispiel an, dass sich im Rahmen des Arbeitens an einem Problem zeigt, dass die emotionale Vernachlässigung durch die Eltern in der Kindheit eine große Rolle spielt. Hiermit ist dann zu arbeiten, wobei der Ort bzw. besser gesagt die Zeit der Arbeit für den Verhaltenstherapeuten immer die Gegenwart ist. Im Beispielfall würde also mit dem Patienten zu klären sein, was er im Hier und Jetzt tun kann, um mit der erlittenen emotionalen Verwahrlosung in der Kindheit einen Umgang zu finden. Das könnte zum Beispiel ein offenes Gespräch mit den Eltern sein, in welchem der Patient seinen Eltern sagt, was diese ihm mit ihrem Verhalten angetan haben; und dieses Gespräch wäre dann in der Therapie vorzubereiten, eventuell zu begleiten und im Nachhinein zu besprechen. Sollten die Eltern nicht mehr Leben, so könnte als symbolische Maßnahme ein Brief geschrieben werden, in welchem den Eltern geschrieben wird, was ihnen zu Lebzeiten nie gesagt wurde, und dieser Brief wird dann auf dem Grab abgelegt. Letztlich sind den therapeutischen Möglichkeiten hier kaum Grenzen gesetzt. Zentral ist nur, dass eine therapeutische Massnahme sowohl für Patient als auch für Therapeut „Sinn macht“, und dass sie sich in konkretes Handeln im Hier und Jetzt übersetzen lässt.

In der verhaltenstherapeutischen Literatur und Forschung gibt es eine Vielzahl an Orientierungshilfen für Therapeuten, welche konkreten Therapieschritte zum Beispiel bei welcher Störung hilfreich sind. Die Verhaltenstherapie orientiert sich hierbei an der empirischen Forschung: was sich in Studien als hilfreich bewährt hat, das findet Eingang in den Behandlungskatalog der Verhaltenstherapie. Tatsächlich ist die Verhaltenstherapie im empirisch-wissenschaftlichen Sinne von allen verfügbaren Therapieverfahren das am besten untersuchte und auch das erfolgreichste: bei keiner anderen Therapieform liegt eine vergleichbare Fülle an Nachweisen vor, dass die Therapie zum Erfolg führt.

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